Kai Enco Umzendudl
Das Krumme
im Schiefen
© 2017 Kai Enco Umzendudl
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Der Taucher 18
Gesamtausgabe der Bayrischen Statuten 31
Das Krokodil vom Nil 34
Nachtigall 41
Wurm 42
Die Maut 48
Die Blaskapelle 54
Urlaub 61
Wallfahrt 66
Eierjahr 75
Politik 83
Verspätung 85
Der Frosch 89
Die Sache mit der reinen Wahrheit 92
Getränkeordnung 95
Die Räucherschale 98
Urlaub in Griechenland 124
Der echte Stammtisch 138
Vertraulicher Bericht 140
Gartenzwerge 153
Burgordnung 166
Leitsatz des Tages - Gaumenfreuden 175
Neujahrswünsche für Piraten 184
Neujahrswünsche für Bergsteiger 193
Zu den Feiertagen 203
Vorwort
Das rechte Buch zu finden kann durchaus mit Schwierigkeiten verbunden sein. Dies gilt ganz besonders, wenn man anderen eine Freude bereiten will. Um jegliches Risiko ausschließen zu können, müsste man wissen, was der Betreffende schon gelesen hat. Hinzu kommt die diffizile Frage, wie er im tiefsten Inneren veranlagt ist. Tendiert er mehr zu Historischen Wälzern, zu Krimis, mag er lieber Heiteres, eine Biographie oder eher einen Zukunftsroman. Vielleicht hat er nur wenig Zeit, etwa der Kaufmann auf der Geschäftsreise, der Politiker in Wahlkampfzeiten, oder die Wöchnerin zwischen Schnuller und Blumenstrauß?
Jeder wünscht sich Lesestoff, der seinen persönlichen Veranlagungen und Wünschen entgegenkommt. Aber! Das Werk für alle gibt es nicht!
Da ist es schon von Vorteil, wenn man ein Buch in Händen hat das ein breites Spektrum abdeckt.
Gerade dieser Forderung kommt „Das Krumme im Schiefen“ zumindest ansatzweise nahe. Es ist unterhaltend und gibt zudem Anregungen, z. B. fürs nächste Tischmotto oder für den Vortrag zum Weihnachtsfest oder zum neuen Jahr. Hier in Prosa! Da gereimt; was den betreffenden Zeilen so etwas wie Melodik verleihen kann.
Es ermuntert den Leser, nicht alles ganz so ernst zu nehmen, sondern sich auch mal in Ruhe einfach in vergnüglichen Regionen treiben zu lassen.
Natürlich kann auch dieses Buch in einem Rutsch durchgeackert werden. Aber es taugt auch für denjenigen, der sich nur für einige, wenige Kapitel mal kurz zurückziehen will. Genüsslich. Vielleicht gar auch noch bei einem guten Gläschen Wein? Es taugt aber auch für den vielbeschäftigten Manager, dem so etwas für die lange Geschäftsreise zu pass käme oder für den Rekonvaleszenten, für den anstehenden Kuraufenthalt, den Geschäftsmann, der selbst noch an Feiertagen durch Anrufe gestört wird, oder den Rentner, der so was ganz locker, nach Lust und Laune, auskosten kann. Sie alle können sich durch die Lektüre anregen lassen oder sich einfach erfreuen. Sie können sich darin treiben lassen, etwa vom Krimi zum Tischmotto, von Prosa zu Lyrik oder vom Trivialem zum Festlichen, ganz so wie es eben beliebt.
Zum Stammtisch
Das Gasthaus „Zum Goldenen Ochsen“ war bei Einheimischen und Fremden gleichermaßen beliebt. Traditionell unterhielt der Wirt einen Stammtisch, der in einer Ecke, abseits des Massenbetriebs, eingerichtet war. Auch diejenigen der Einheimischen, die sich nicht zu den Stammtischbrüdern zählen wollten, nahmen auf dieser Seite des Lokals Platz, um so zumindest einen Rest an Heimatverbundenheit zu wahren.
Der Tisch war so groß, dass man ihn durchaus als Tafel bezeichnen konnte. In der Mitte stand ein riesiger schmiedeeiserner Aschenbecher. Eigentlich hatte er wegen des Rauchverbots längst ausgedient, doch Ranzinger, der Dorfschmied, hatte ihn zu einem dekorativen Getränke- und Speisekartenhalter umfunktioniert. Auf der rechten Seite stand noch eine kleinere Version davon, die von ihm zum Salz- und Pfefferständer weiterentwickelt worden war. Ursprünglich bestand das Set aus drei Teilen, doch der linke Aschenbecher war eines schönen Tages einfach verschwunden.
Der Stammtisch war, speziell am Freitag, gut besucht. Da nie alle Freunde des Feierabendumtrunks Zeit hatten, ergab sich immer wieder eine andere Diskussionsrunde. Nur wenige konnten als verlässliche Stammgäste bezeichnet werden. Dazu gehörten neben Ranzinger auch Benno Hornspeier und der Dorfschreiner Karl Stodrfudr.
Mit Bäckermeister Rindsberger und Toni Stoarigel war der innere Zirkel im Wesentlichen wohl schon komplett. Seit dem Rauchverbot gesellte sich dann und wann auch der Dorfschullehrer Lorenz Reitgschwandl, dazu.
Durch ihn fühlte sich sogar Dorfpfarrer Hägemund, hin und wieder veranlasst, sich im Wirtshaus unter seine Schäfchen zu mischen. Er konnte die Stippvisite gut durch sachdienliche Betriebsamkeit und durch Probleme des Tages bemänteln, da der „Goldne Ochsn“ von der Kirche aus gleich rechts um die Ecke zu erreichen war.
Er blieb jedoch nie lange. Meist nur für eine „Halbe Bier“.
Auch andere kamen völlig frei und ungezwungen aber eben seltener. Sie repräsentierten die große Laufkundschaft, die eben nur gelegentlich auftauchte, was für einen gesunden Meinungsaustausch durchaus förderlich war. Ein Umstand, den der Stammtisch demokratisch gewählten Gremien voraushatte. Beide Gruppen hatten in dieser Gegend zumindest wenig Respekt, wenn nicht gar eine herzliche Abneigung zueinander. Hier am Stammtisch bildeten sich Meinungen nach allerlei Berichten und Erzählungen, ohne parteipolitische Vorgaben, was für ein neutrales, objektives Weltbild durchaus von Vorteil sein konnte.„Am Stammtisch hast du nichts verloren“, fauchte Hornspeier den kleinen Beppo an.„Aber ich muss doch die Posaune rüber tragen!“
„Wo rüber!“
„In d´ Kirch´.“„Das kann er doch selber!“
„In´d Orgelempore.“
„Der schnauft scho a bisserl“, wandte Rindsberger vermittelnd ein.
„Was will der um dia Zeit in dr Kirch und noch dazu mit der Posaune?“
„Das hat Lehrer Reitgschwandl gesagt“, ergänzte Beppo.“
„Dann hockst di do hi und gibst a ruah! Host me?“
Das hätte er nicht betonen müssen, denn der Holzinger Beppo saß immer nur ganz ruhig und gottergeben da. In aller Regel hatten ihn die Stammtischler schon nach dem ersten Schluck Bier wieder vergessen. So kam es, dass der kleine Beppo oft zuhören musste, und all die Reden und Weisheiten der Großen wie ein Schwamm in sich aufnehmen konnte. Das ist auch der Grund warum er schon damals, in seiner frühen Jugend, jede Fußballmannschaft besser aufgestellt hätte als der amtierende aber völlig untalentierte Trainer, dass er andererseits ungern wegfuhr, auch nicht zu den Onkels und Tanten, könnte er doch hier etwas verpassen, und warum er Fröschen nicht über den Weg traute, weder Regenwürmer noch Schnecken mochte, d. h. essen mochte, auch keine Maikäfer, die doch angeblich so gut nach Nuss schmecken; dass er von Wallfahrten nichts wissen wollte, gern der Blaskapelle nachlief und die Weiberleut, von denen am Stammtisch häufig die Rede war, in- und auswendig kannte.
Wenn es schon sein musste, ging er lieber in die Berge. Mit dem Baden, gleich ob in Fluss oder im See oder in der Badewanne hatte er es nicht so sehr.
Da kam auch schon der Simon Kaserer, kurz Simerl genannt herein.
„Simerl griaß di“ rief ihm die Kellnerin zu und fragte gleich nach: „Wie immer?“
„Na heit ned.“
„Was dann“?
„Der Stodrfudr kommt heute nicht. Aber dafür kommt der Heumoser, unser Abgeordneter. Kennst ´n no?“
„Ich kenne keinen Herrn Soser.“
„Es kommt auch kein Herr Soser, sondern der Rudolf Heumoser. Unser altbekannter Rudl. “
„Was Sie nicht sagen, der Herr Abgeordnete. Den hab´ ich ja schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen.“
„Jetzt wird er wieder öfter auftauchen, der Hirschfresser der damische. Man hat ihn abgesägt.“
„Ja so was!“
Woast was, Madl, jetzt bringst ma eascht wos zum Trinken.“
„Also doch wie immer?“
„Nein!
Heut´ soll´s schon was Besonderes sein“.
„Warum das?“
„Na weil der Heumoser kommt. Dem zeigen wir, dass es bei uns anders zugeht. Nicht so gstingad wia bei dene hochnäsigen Gockl da droben. Wir haben Kultur, und das soll er schon daran erkennen, was und wie wir essen und was wir dazu trinken. Ich sage nur: „Esskultur“!
„Und was soll´s dann sein?“
„Das sage ich dir, wenn ich weiß was ich trinken will.“
„Dann bring ich dir aber doch schon mal die Speisekarte.“
„Dafür ist es noch zu früh.“
„Und was machen wir jetzt?“
„Da haben wir ein Problem. Wann kommt der Heumoser?“ fragte Kaserer in die Runde. Aber keiner wusste es so genau.
„Wo ist das Problem? Schließlich weißt du in der Regel, was du trinkst, wenn du weist was du essen willst“, setzte die Zenzi nach.“
„Heute geht’s anders herum. Ich weiß was ich essen will, wenn ich weiß, was du mir an Besonderheiten zu Trinken anbieten kannst. Damit ergibt sich, wohl ganz automatisch, dass du mir heute nicht mit einem Leberkäs oder einem Schweinsbraten oder so was kommen kannst.“
„Aha! Also, erst wenn du weißt was du trinken willst, weißt du was ich dir zum Essen bringen soll.
Du, ich glaube ich lass dir noch a bisserl Zeit zum Überlegen und komme später wieder vorbei.“
„Wer ist heute in der Küche?“ rief ihr Kaserer noch schnell nach.
„Der Fonse.“
Hat der auch was Exotisches drauf? Ich meine etwas Weltmännisches. Wir müssen dem Heimkehrer doch zeigen, dass die Welt bei uns nicht stehen geblieben ist. Frag doch mal aus welchen Ländern er etwas anzubieten hat.
Der Herr Abgeordnete wird staunen!“
Also, was hat der Pfannenjongleur heute drauf“, fragte Kaserer als die Zenzi zurück war.
„Er meint: „Er hätte fasst alles auf Lager. Was Anderes kenne er ohnehin nicht. Und wenn er´s kennen würde hätte er es auch drauf.
In der Eile, empfahl er, etwas aus Indien oder aus China zu nehmen. Besonders zu empfehlen wären auch die frischen Muscheln aus Irland oder ein rassiges Bami Goreng a la Malaysia oder ein saftiges Steak mit Papas aus Argentinien oder einem Eintopf aus Südamerika.“
„Das langt schon. Ich denke, mir ist heute eher nach etwas Indischem.“
Er musste nicht lange warten, da brachte die Zenzi mit der Bemerkung: „Das ist aus Indien“, einen Pfefferstreuer. Allerdings konnte sie den Simon damit nicht zufriedenstellen.
„Doch nicht so was!“ knurrte er.
Oder ist das wirklich alles was ihm zu Indien einfällt?
Ich meinte doch ein fertiges Gericht. Warte mal, jetzt fällt´s mir ein. Bring einfach ein Mutton Nilgiri.“
„Da muss ich nochmal fragen“
Nach einer guten Weile kam sie mit einem Zettel in der Hand zurück und sagte: „Kokosmilch ist aus, aber wir haben wirklich einiges zu bieten. Zum Beispiel etwas aus Marokko, Irland, Malaysia, Indonesien, aus China, Japan, Italien und Spanien.“
„Ja hat er denn nichts Gescheites?“
„Er hat noch einen Kardamon aus Guatemala, Steaks aus Argentinien, Whisky aus Schottland und Ananas in Dosen aus Hawaii“
„Ich meine doch ein fertiges Gericht. So ein Haute Cuisine.“
„Ich komme gleich wieder.“
„Ah! Ottl, griaß di“, empfing Kaserer den Dorfschmied Otto Ranzinger, der hinzugetreten war. „Hock di her, dann sind wir mehr. Heute kommt auch noch unser Abgeordneter“.
„Du meinst, unser ehemaliger Abgeordneter, der Hanswurst, der damische. Der hat damals gegen unsere Interessen gestimmt. Erinnerst du dich noch?“
„Klar, aber das ist schon lange her. Was ich ihm aber krumm nehme, dem hochnäsigen Bimpf dem gstingadn, ist seine Wichtigtuerei. Er hat´s damals nicht für nötig gehalten zur Fahnenweihe zu kommen. Dabei haben wir ihn rechtzeitig eingeladen. Und dann die Ausrede „Arbeitsüberlastung“. So was sagt man, wenn es keinen vernünftigen Grund gibt oder wenn man einfach keine Lust hat. Und als man die Verbindungsstraße nach Schlumbach bauen wollte, sind die Mittel in die Kreisstadt geflossen. Eine feine Vetternwirtschaft war das. Pfui Deifl!“
Als dann tatsächlich der Herr Abgeordnete Rudolf Heumoser auftauchte, war vom Deifi plötzlich nicht mehr zu hören und erst recht nichts zu sehen.
Die Zenzi begrüßte ihn überschwänglich; als Heimkehrer und als Gast. Dann widmete sie sich aber gleich wieder dem Simerl. Sie versuchte ihm Shrimps á La Szetschuan in Chiliöl-Sauce schmackhaft zu machen und sprach nach mehrmaligen Rückfragen von mäßig erhitztem Öl, in dem die Schrimps etwa eine ¾ Stunde fritiert, das Öl dann bis auf 2 Esslöffel abgegossen und das Porree und der Ingwer 30 Sekunden gebraten würden. Sesam und Chiliöl kämen auch noch hinein.
Andererseits wäre aber auch noch Schweinefleisch mit Fa ts´ai zu empfehlen, wobei der Küchenchef Fonse aber ausrichten ließ, dass er zurzeit leider keinen Seetang hätte.
Das gab dem Simerl den Rest.
Doch zum Glück waren die Essgewohnheiten neben den aktuellen Fragen, die durch die Anwesenheit Heumosers aufgetaucht waren, ohnehin nicht mehr so interessant, weshalb er, reumütig aber erfreut, zu Schweinebraten mit einem frischen Bier zurückkehrte. Er hatte mit seinen fremdländischen Gerichten schon genug aufhorchen lassen.
So wie der Speiseplan rasch wieder auf bodenständiges reduziert worden war, fand sich Heumoser in den nächsten Treffen schnell wieder in den am Stammtisch üblichen Ton ein, ohne im Geringsten mit dem Deifi oder anderen Geistern in Verbindung gebracht zu werden. Er war halt doch ein Gewächs der Heimat. Ja es zeigte sich alsbald, dass sich die Stammtischler auf ihre Weise um ihn sorgten, wie dies schon am ersten Tag aus der Frage von Schreinermeister Stodrfudr herauszuhören war:
Zum Stammtisch
„Was machst du jetzt, wo du doch keine Verpflichtungen mehr hast?“ Heumoser fühlte sich geschmeichelt. So viel Mitgefühl hatte er nicht erwartet.
„Die Frage stellt sich tatsächlich“ sagte er. „Als Abgeordneter hatte ich sehr viele Verpflichtungen und selbst die Abende waren ausgebucht. Die meisten Einladungen kann man nicht einfach ausschlagen. Da gibt es die Vereine, die Lobbyisten, die Parteiveranstaltungen, soziale Verpflichtungen, die Fortbildungskurse, die Gemeindewahlen, kulturelle Veranstaltungen und so manchen Anlass der einem wurscht ist, den man aber um des guten Rufes Willen und des Bekanntheitsgrades Willen nicht ignorieren kann. Dabei meinen alle, sie seien die Einzigen, oder zumindest die wichtigsten. - Aber jetzt?“
„Du könntest immer noch Reden halten. Das war doch dein „Täglich Brot“. Das kannst du doch so gut.“
„Dann mache halt so was wie Reden, ohne hin zu fahren.“
„Wie soll ich denn das verstehen?“
Nun wurde auch Lehrer Reitgschwandl munter. Er hatte eine Idee und meinte, das könne der Herr Abgeordnete gut unter einen Hut bringen, wenn er seine Gedanken lediglich zu Papier brächte; eben ohne hin zu fahren.
„Was soll denn das nun wieder. Das hat doch der Karl schon gesagt. „Was soll das bringen?“
„Als Schriftsteller sozusagen.“
„Ach ja!“ Heumoser überlegte und sagte schließlich: „Das hätte schon eher was für sich“. Politisches kommt aber nicht in Frage. Da wäre ich gleich wieder zwischen den Mahlsteinen der Bürokratenmühle.
Die Aufgabe sollte Vergnügen bereiten. Es sollte etwas sein, bei dem es egal ist ob ich mich heute damit beschäftige oder morgen oder selten oder gar nicht.“
„So sehe ich das auch. Wenn du deine Gedanken zu Papier bringst wäre das Beschäftigung und Vergnügen zugleich. So was hält einen im Kopf fit, ohne Druck und ohne Stress.
Dafür wären auch Gedichte gut geeignet. Meinen sie nicht auch?
Ich denke da an so was wie „Der Taucher“ von Schiller oder wie „Der Zauberlehrling“ von Goethe. Die könntest du als gute Beispiele heranziehen.“
„Meinst Du? Was hat denn der Taucher so besonderes gemacht, dass er heute noch als Beispiel dienen kann?“
„Es ist auch bei mir schon lange her, aber ich glaube mich zu erinnern, dass er ins Wasser gesprungen ist.“
„Ja, das kann ich mir gut vorstellen“, pflichtet dem Vorschlag nun auch Hornspeier bei.
„Also nicht einfach so. Vielmehr hat der König einen goldenen Becher ins tiefe Wasser geworfen.“
„Ach was! Das macht doch kein vernünftiger Mensch! Goldene Becher ins Wasser werfen. Dass ist doch irre!“
„So ein König ist ja auch kein normaler Mensch.
Könige waren eher so ungefähr wie die Kanzler oder die Präsidenten unserer Tage. Die haben auch schon mal solche Aussetzer. Zudem war das ja auch nicht unser Kini, sondern ein König der viel weiter im Süden herrschte. Vielleicht auf Sizilien? Na ja, jedenfalls da unten rum, irgendwo“.
„Hat er den Becher dann wieder bekommen oder war er weg.“
„Wer? Der Kanzler oder der König?“
„Der Becher.“
„Er hat ihn zwar wieder bekommen aber er hat ihn dann wieder in die wilde See geworfen. Dann war er für immer weg.“
„Der König?“
„Nein der Becher. Er war für immer verschwunden. Samt dem Taucher. Für immer.“
„Was du nicht sagst! Das ist ja unglaublich. Da waren unsere Könige doch vernünftiger. Sogar unsere Präsidenten sind da um einiges gescheiter. Selbst die Abgeordneten! Meinst ihr nicht auch?“
„Na ja! Kann schon sein. Wie man´s halt nimmt!“
Das seh´n wir ja an unserem Heimkehrer, dem Rudl.“
„Unser Kini hat auch so manches in irgendeinen wilden Strudel geworfen. Denk doch nur an die Königsschlösser. Gold und Geld waren dann auch weg. Alles war furtsch, für immer. Der Staat war pleite. Man kann gut sagen, ich meine im übertragenen Sinne, dass durch ihn so manch goldener Becher verschwunden ist.“
„Da kannst du wohl Recht haben. Als junger Bursche badete ich einmal im Starnberger See. In der Nähe von Possenhofen, wo der Kini ein kleines Schloss hatte. Da trat ich in Scherben. Das tat sehr weh. Es blutete sogar. Ich konnte mit dem rechten Fuß kaum noch auftreten. Das könnte auch so ein Becher gewesen sein. Dummerweise habe ich nicht nachgeschaut. Unser Kini hat schließlich viel zum Fenster rausgeworfen. Warum nicht auch ein paar goldene Becher. Und so nah beim Schloss. Der Starnberger See ist groß. Da fällt es gar nicht auf wenn ein König einen goldenen Becher reinwirft. A bissl daneben war der Kini sowieso. Nein! Er war so daneben, dass es geradezu ein Wunder gewesen wäre, wenn er nicht hie und da einen goldenen Becher in den See geworfen hätte. Aber gegen den Kini war der König von da unten ganz sicher der reinste Waisenknabe. Unser Kini hatte es nicht nötig einen goldenen Becher zweimal rein zu werfen. Der hat bestimmt immer wieder einen neuen genommen. Immer wieder einen anderen. Was glaubt ihr wie viel goldene Becher im Starnberger See Platz haben? Ich sag euch, eine ganze Menge. Ich sollte da wieder einmal zum Baden gehen.“
„Siehst du, so hat es bei dem Taucher auch angefangen. Was hilft es dir, wenn du die vielen Becher rauf holst und schlussendlich mit all den Bechern unten bleibst. Der Kini springt nicht rein um dich zu retten. Der hat da ganz schlechte Erfahrung gemacht, denn schließlich ist er selbst, im Starnberger See ertrunken. Ganz ohne Strudel. Und ganz ohne goldenen Becher. Na ja, die hat er ja schon vorher reigeworfen.
Da hätte er bei dem König von Sizilien erst mal nachfragen sollen. Der hat es nämlich geschafft. Der ist einfach heimgegangen und hat sich bei einem guten Schoppen Rotem erholt!“
„Wer braucht so traurige Geschichten?“
„Du hast Recht. Wenn du ein Gedicht schreibst, muss es ja nicht so ausgehen wie beim Taucher. Du könntest dich aber am Zauberlehrling orientieren.“
„Ich hätte in meinem Wahlkreis auch gerne gezaubert. So gesehen, taugte die Geschichte schon eher.
Leider ging das nicht. Ich meine das Zaubern.“
„Der hat weniger gezaubert, als vielmehr Wasser geholt.“
„Na danke. Das ist nichts für mich. Warum soll ich Wasser holen? Da lachen ja die Hühner. Ich dreh den Hahn auf und es kommt Wasser raus. Ich hol höchstens mal Wasser, wenn ich den Garten gießen muss. Das kommt aber selten vor.“
„Das ist es ja. Der Zauberlehrling hat immer Wasser geholt. Sozusagen auch noch als das Gemüse längst ersoffen war.“
„Versteh ich das richtig, der hat es so gemacht wie der Kini. Der hat zwar nicht immer Wasser geholt. Warum sollte ein König auch immer Wasser holen. Der hat aber immer Schlösser gebaut. Obwohl die anderen schon da waren, hat er immer wieder eins gebaut. Und wenn ich dich recht verstehe, holte der stattdessen immer Wasser. War das so?“
„Ja so ungefähr.“
„Sag, lief er schnell hin und her oder langsam“
„Sehr schnell. Und ausdauernd dazu. Und immer gut eingeschenkt. Ich meine er hatte den Eimer immer randvoll. Und er hat nichts verschüttet. Da könntest du dir ein Beispiel nehmen. Das schaffst du nicht einmal beim Bier.“
„Das ist ja eigenartig. Bedenke doch wie schwer es ist einen randvollen Eimer hin und her zu tragen. Ich sag dir, da stimmt was nicht. Bei dem Eimer handelt es sich gar nicht um einen großen Eimer. Das war sicher nur ein Eimerchen, oder anders ausgedrückt, das war ein Becher. Vielleicht ein großer Becher. Aber es war ein Becher.
Ein Zauberer hat auch keinen ordinären Becher. Der hat einen goldenen Becher. Warum sollte er auch einen Becher aus Blech herzaubern, wo er doch genauso gut einen Becher aus Gold herzaubern kann?
Fällt dir was auf?“
„Was soll mir auffallen?“
„Wenn du nur ein kleines Bisschen was im Kopf hättest, nur ein Fuzelchen von gesundem Menschenverstand, wo da doch alles klar auf der Hand liegt! Bei dem Eimerchen handelte es sich um den goldenen Becher vom König und bei dem Zauberer handelte es sich in Wirklichkeit um den Taucher. Wenn man das bedenkt wird auch klar warum der ein Bad nehmen wollte.
Hast du schon mal gebadet. Ich meine im Meer gebadet? Weißt du wie man da raus kommt? Wie ein Salzhering. Der wollte duschen, weil er das Salz los sein wollte. Vielleicht wollte er dabei gleich auch noch die Badehose waschen.
Übrigens auch ein Grund, warum unser Kini die goldenen Becher immer in den Starnberger See geworfen hat. Der Starnberger See ist nämlich gar nicht salzig. Also musste der Kini auch nicht duschen. Er musste weder volle Eimer noch volle Becher hin und her tragen. Was tut man in Starnberg mit unnützen Gegenständen? Man wirft sie in den See. Und deshalb ist er voll von den scharfkantigen goldenen Bechern.“
„Na gut.
„Wie gesagt, wir sollten wieder mal zum Baden gehen. Ich kenne die Stelle noch genau.“
„Mit den blöden Bechern sind wir aber etwas vom Thema abgekommen.“
„Von was sind wir abgekommen?“
„Von der Frage, was unserer Herr Abgeordneter, ich meine unseren lieben Rudolf, in Zukunft tun könnte.“
„Jetzt mal langsam. Ich bin da nicht auf eure Eingaben angewiesen.“
„Sicher! Aber wir helfen doch gerne.“
„Solche Vorschläge sind doch nicht hilfreich. Beide Gedichte gehen schlecht aus. Ich kenne noch viel mehr davon und alle, fast alle haben ein tragisches Ende. Wer will denn so was.“
Es ist doch nicht ersprießlich zu all den traurigen Gedichten noch eine neue Geschichte hinzuzufügen. Wer traurige Geschichten hören will, muss nur ins Krankenhaus gehen, da gibt es viele Fälle die in diese Kategorie fallen. Da hat sich sicherlich auch mancher der alten Meister inspirieren lassen. Alle die da so dahingehen, könnten dir eine traurige Geschichte erzählen. Da ist kein einziger Fall dabei, bei dem es mit dem nahenden Ende immer lustiger wurde.“
„So ist das auch wieder nicht. Als der Gugl Dore gestorben ist, wurden die Erben immer ausgelassener.“
„Schon gut. Der Fall bestätigt nur die Regel.
Aber mit so traurigen Ereignissen sollten sie sich als ehemaliger Abgeordneter nicht abgeben. Da gibt es aber unendlich viele Bereiche, die noch nicht abgegrast wurden. Die meisten sind darüber hinaus durchaus erfreulich oder zumindest neutral. Die Katastrophen, die da immer beschrieben wurden sind out.“
„Was soll dann beschrieben werden?“
„Alles andere eben. Du hast die Wahl. Das Gegenteil von den Tragödien. Das ist ein weites Betätigungsfeld.“
„Die hehren Welten der Götter wurden auch schon abgearbeitet. Da gibt es großartige Balladen. Es sind deren so viele, dass man den Überblick verlieren könnte. Was bleibt da für unsereins, den armen Texter des einundzwanzigsten Jahrhunderts, noch übrig?“
„Keine Angst, es gibt noch viel zu tun. Die Welt ändert sich. Damit ändern sich auch die Themen.“
„Zudem könntest du genau in die andere Richtung gehen“, warf Stodrfudr ein“.
„Fragt sich nur: „Wo da ein gangbarer Weg ist, in dieser anderen Richtung.“
„Zum Beispiel verbliebe immer noch das dümmste Gedicht der Welt. Das hat noch keiner gemacht, obwohl sich auf diesem Gebiet unendlich viele Möglichkeiten auftun.“
„Also meine Herren, ihr habt es gehört. Das ist eine glatte Beleidigung. Er sagt ja nichts anderes, als dass er mir gerade mal das Gegenteil von den Werken zutraut, die aus früheren Zeiten überliefert wurden. Er stuft mich damit als einen der Dümmsten ein. Vor versammelter Mannschaft! Das muss ich mir nicht bieten lassen.
Auch der Stammtisch hat seine Regeln, die unter uns durchaus großzügig ausgelegt werden. Aber bitte! Alles hat seine Grenzen!
Den Stammtischparolen wird in der Politik durchaus große Aufmerksamkeit zuteil, auch wenn man sie anders benennt. Die Politiker hören auf die Stimme des Volkes, selbst wenn sie sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, populistisch zu handeln. Aber das bedeutet Volksnähe und trägt zur Verständlichkeit bei. Gemeinverständlichkeit. Der Stammtisch spricht aus was Sache ist und nennt die Sachverhalte beim Namen. Hier kann frei, demokratisch frei, diskutiert werden. Andererseits kann man hier auch frei schwatzen, plappern, schwadronieren. Aber beleidigen, das geht nicht. Das geht zu weit. Meine Herren ich verabschiede mich unter schärfstem Protest.
Er erhob sich, nahm seine Tasche vom Boden und eilte davon.
Als erster fing sich Pfarrer Hägemund.
„Die Worte hättest du dir besser überlegen sollen. Jetzt ist er beleidigt. Und nicht ohne Grund“.
„Also das Dümmste kann man von ihm nicht verlangen, genau so wenig wie das Beste. Beides sind Höchstleistungen. Solche Höchstleistungen sind bei ihm nicht drin“, beharrte Stodrfudr auf seiner Meinung.
Man kann es auch anders sehen, denn wenn der Rudl ein Gedicht schreibt, dann ist es auf jeden Fall das Dümmste“, spottete er.
„Um was könnte es sich sonst dabei handeln“, fragte Ranzinger ins Blaue. „Ich kann mir da nichts Rechtes vorstellen. Bei dem gewaltigen Bestand an Gedichten, den Kunstgesängen und all den Werken der Literatur, hat man wenigstens ein klares Bild vor Augen. Da kommen noch vage Erinnerungen aus der Schulzeit hoch. Aber „Das Dümmste“? Das ist für mich reizlos und hanebüchener Quatsch. Und doch! Wenn ich mir das so überlege, wäre es interessant, was Heumoser daraus machte. Etwa so etwas, wie das moderne Gemälde, das im Rathaus hängt. Etwas Abstraktes, jedenfalls etwas in der Natur nicht Vorhandenes, etwas was selbst im Lavaschutt nicht ansatzweise zu sehen ist. Es wäre doch interessant was der Heumoser da zusammenfaseln würde. Was hätte das Prädikat von größter Einfalt verdient. Was ist so richtig umwerfend blöd? Ich sage euch: „Das hat was für sich.“
„Für Tragödien gibt es wenigstens offizielle Stellen, die man anzapfen kann. Denkt nur an die vorhin erwähnten Krankenhäuser, die Gerichte, das Zuchthaus, das Finanzamt, die Jagd und so weiter.
Aber für das Dümmste? Da gibt es keine Vorbilder. In der Natur hat schließlich alles seinen Sinn. Da ist womöglich alles von gleichem Rang?“
„Sagt mal selbst, was eurer Meinung nach das Dümmste ist“, fragte Ranzinger herausfordernd. Als sich keiner zu Wort meldete, stichelte er weiter:
„Da seht ihr´s. Hätte ich nach der besten Tragödie gefragt, wäre jedem was eingefallen. Zumindest der Unfall mit dem frisierten Motorrad. Aber so habt ihr eben auch nicht auf Lager.“
Da meldete sich doch einer.
„Wir hätten da immer noch den Hollerbauer, dem ja kaum mal was Gescheites einfällt. Kürzlich hat er gesagt, dass er am liebsten mit langen Holzscheitln einheizt, weil die länger brennen.“
„Wobei er zweifellos recht hat. Ein kurzes brennt kurz. Ein langes brennt lange und ein ganz langes brennt noch länger. Das ist doch klar!“
So hat er es aber nicht gemeint. Er bezog sich immer auf die gleiche Menge Holz. Und er isst ja auch nur lange Spagetti, weil die länger satt machen.
Das ist schon ein schwierigeres Feld.
Wenn wir dem Heumoser die Schriftstellerei schmackhaft machen wollen, müssen wir es ihm besser verkaufen. Vielleicht als avantgardistische oder zeitgenössische Kunst. Oder als längst überfälligen rebellischen Hinweis. Oder so was.“
„Wie wär´s mit dem Titel: „Abendliches Schoppengedicht?“
„Jedenfalls nichts Tragisches, keine Tragikomödie, keine Komödie. Etwas Sachliches, aber durchaus auch etwas nach heutiger Lesart völlig Verrücktes.
„Oder einfach etwas Alternatives.“
Reitgschwandl horchte auf.
„Ja, das klingt gut“, sagte er. „Das wärs. So frisst er´s!“
Keiner rührte sich. Alle schienen zu überlegen. Doch vielleicht waren sie auch nur des Themas müde geworden.
Aber wie sollten sie Heumoser, nach den beleidigenden Worten, die da gefallen waren, noch für ihre Idee gewinnen können? Ohne ihn ging es ja nicht. Die meisten glaubten, dass sie ihn nicht mehr umstimmen könnten. Der Spaß war ihnen verdorben worden.
Das tat nun selbst Stodrfudr leid. Da er nicht als Spielverderber am Pranger stehen wollte, war er froh, als sich Pfarrer Hägemund bereit erklärte, dafür zu sorgen, dass sich Heumoser bis zum nächsten Mal beruhigte.
Tatsächlich tauchte er beim nächsten Treffen auf.
Besonders erfreut zeigte sich Pfarrer Hägemund, der sich im Namen aller nochmals entschuldigte. Um ganz sicher zu gehen, schlug er vor, dass alle am Stammtisch versammelten etwas zur Versöhnung beitragen sollten. Und was könnte dafür besser geeignet sein, als dass jeder von ihnen einen Vers oder eine Geschichte beisteuerte. Damit sollte der im Grunde genommen gute Gedanke gefördert, ja verstärkt werden. In erster Linie ging es ihm darum Heumoser wieder umzustimmen, der an der Sache durchaus ein gewisses hatte. Er konnte aber nicht ganz so leichten Herzens vergessen. Ein gutes Maß an Reserviertheit war ihm anzumerken, weshalb Pfarrer Hägemund das Thema nochmals vertiefte, als sie durch Getränke verschiedenster Art schon etwas gnädiger gestimmt waren. Er sprach in väterlichem Tone: „Lieber Herr Abgeordneter. Wir kennen uns schon lange genug um uns nicht wegen einer unüberlegten Floskel oder einer Banalität ins Schneckenhaus zurückzuziehen. Stodrfude hat das so gesagt, aber wie ich ihn kenne, hat er das nicht so gemeint. Das zum einen. Zum anderen sollte man am Stammtisch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.“
Endlich schaltete sich auch Unglücksrabe Stodrfudr, Versöhnung heischend, ein: „Lieber Rudolf! Das war von mir ja wirklich nicht so gemeint. Ich sprach nicht von dir als Dümmsten, ich schlug vor ein Gedicht zu schreiben, das man als Gegenteil von dem betrachten kann, was wir von den alten Meistern kennen. Das wäre Kunst ohne Anleihen aus dem Krankenhaus oder aus dem alltäglichen Kampf ums Überleben zu nehmen. Eben Kunst rundum. Reine Kunst!“
Irgendwie kamen die Worte bei Heumoser an. Er setzte sich aufrecht hin und sagte. „Ich versteh das nicht, lasse mich aber belehren.“
„Schau dir mal die Stilrichtungen in der Malerei an. Da waren die alten Könner, die realistisch gemalt haben. Für sie wären Bilder aus der modernen Kunst unverständlich gewesen. Ist das nicht richtig?“
Alle pflichteten ihm bei.
„Die moderne Technik der Fotografie füllt heutzutage die realistische Bildgestaltung fast vollständig aus. Die Maler mussten deshalb auch umdenken. Was kam heraus? Der Surrealismus, Pop-Art, die abstrakte Kunst, rein phantastisches und so weiter. Wenn man so will, ist die moderne Malerei, also auch das Gegenteil von dem was man hatte, also von dem was die alten Meister geschaffen haben. Aus ihrer Sicht ist manches im heutigen Kunstbetrieb eben auch das Dümmste, was sie sich hätten vorstellen können. Und doch war es eine fruchtbare Weiterentwicklung und eine Anpassung an die Zeit.
So, in etwa habe ich das gemeint.
Ich möchte meinem Vorschlag neu formulieren und sagen: „Es könnte durchaus etwas Andersartiges sein“.
Das undefinierbare Stammtischgebrummel das nun folgte, konnte noch nicht eindeutig zugeordnet werden.
Nun schaltet sich auch Lehrer Reitgschwandl ein. Er brachte Schlagworte wie Divergentes! und Heterogenes auf den Tisch. Als solches wäre das eine echte Herausforderung. Ein abstraktes Bild, das eine fremde Welt darstellt, womöglich sogar etwas Unrealistisches, man könnte auch sagen eine Welt der reinen Fantasie. Das müsste dir doch entgegenkommen“, wandte er sich Heumoser zu. Hattest du in der Politik nicht tagäglich Neues auf dem Tisch, manchmal vielleicht etwas ganz und gar Unrealistisches, etwas nicht zu Realisierendes?“
„Und ob, und ob!“ pflichtete Heumoser bei. Sein Ärger wich sanftem Argwohn, der jedoch nicht nur in der Sache, sondern auch im Persönlichen begründet war. Aber er fand, dass einige der Argumente womöglich nicht ganz von der Hand zu weisen waren. Noch war er misstrauisch. Er wollte nicht zum Gespött werden. Doch diese Gefahr wäre gebannt, wenn wirklich alle mitmachten. Irgendetwas an der Sache reizte ihn. Er sagte deshalb „Liebe Freunde, da möchte ich den Vorschlag von unserem hochverehrten Herrn Pfarrer aufgreifen. Ich bin einverstanden, wenn sich alle von uns an dem Vergnügen beteiligen. Wir sollten den Gedanken gemeinsam verfolgen. Jeder von uns sollte etwas dazu beitragen. Ich könnte mich gerne mal an so einem Hirngespinst versuchen. Einer muss den Ersten machen. Das wäre vielleicht ganz interessant, aber ihr müsstet auch etwas tun.
Jetzt kommt das Jahresende. Da wäre es nicht schlecht, wenn jeder mal den Bleistift in die Hand nähme um zu fabulieren. Ich stünde nicht so exklusiv da und ihr könntet vielleicht etwas viel Besseres beitragen. Vielleicht etwas das schon auf die kommenden Feiertage ausgerichtet ist. Da braucht man so was allenthalben. Ich denke da an Vereine, an die Familien, an die Kirche, an soziale Einrichtungen und so weiter. Wenn alle beteiligt sind, ist das sicher für jeden eine kleine Herausforderung; nein, es wäre nicht weniger als ein kleines Abenteuer.“
Der unwillkommene Vorschlag ließ die gerade noch lebhafte Diskussion jäh verstummen. Sie hatten an der, für alle überraschenden Wendung, zu beißen. So redeten sie noch lange hin und her, bis sich Heumoser, mit den Worten, verabschiedete:
„Für heute muss ich es dabei bewenden lassen. Ich habe noch einen Termin. Damit erhob er sich und verschwand noch ehe sich die Runde gefangen hatten.
Eigentlich betrachteten sie sich am Stammtisch als eingeschworene Gemeinschaft. Mit der war es für heute aber nicht mehr weit her. Glücklicherweise war da aber noch die eigentlich treibende Kraft, Pfarrer Hägemund. Das Experiment konnte ja durchaus auch für ihn und die Kirchengemeinde etwas bringen.
Er brachte dies zum Ausdruck, indem er sagte: „Ich finde den Vorschlag durchaus famos“. Nach der etwas unglücklichen Diskussion schulden wir Heumoser tatsächlich eine Gegenleistung. Ich würde aber dem beipflichten, dass nicht jeder etwas völlig phantastisch einbringen müsste, sondern, dass in Anbetracht der kommenden Feiertage auch weihnachtliche Texte erlaubt wären, oder etwas zum neuen Jahr“.
Die Runde blieb immer noch verdächtig still. Keiner fand den Vorschlag besonders lustig. Alle hatten sie daran zu beißen.
Der sonderbare Streit machte im Ort die Runde. Selbst Bürgermeister Kühtaler fand unerhörte Schadenfreude, hatte er als Politiker doch schon so einige Male vom Stammtisch harsche Kritik hinnehmen müssen. Genauso wie der ehemalige Abgeordnete Heumoser bei dem er sich aber nicht sicher war inwieweit er inzwischen die Front gewechselt hatte. Sie waren aber in der gleichen Partei und hatten sich immer gut verstanden. Er nützte den guten Draht zu ihm, um es den aus seiner Sicht mauligen Stammtischlern zu geben, indem er Heumoser aufforderte, den Vorschlag von Pfarrer Hägemund aufzugreifen. Er meinte, so könne er es seinen Kollegen elegant heimzahlen, denn für ihn selbst wäre es doch kein Problelm, ein paar Zeilen einzubringen und so die Anderen in die Pflicht zu nehmen. Das wäre schon deshalb recht amüsant, da sie ja nicht alle darin so versiert seien wie er. Überhaupt fände er das durchaus lustig und wäre gespannt, was da rauskäme.
Um der Sache etwas Nachdruck zu verleihen bot Kühtaler an, durch einen kurzen Text das Unterfangen ins Rollen zu bringen. Er sah da kein Problem, hatten sie im Rathaus doch gerade eine Praktikantin. Die konnte er damit beschäftigen, soweit nötig vielleicht auch unter Mithilfe seiner Sekretärin.
Der listige Vorschalg, erwies sich als Starter, beziehungsweise als Katalysator für ein Unterfangen, das keiner wollte, dem sich nun, aufgrund der ortsspezifischen Begebenheiten, aber keiner mehr entziehen konnte.
Lehrer Reitgschwandl hatte eigentlich auch keine Lust, glaubte aber mit dem Pfarrer und dem Bürgermeister sozusagen in einer Liga zu spielen. Zudem schien er als Deutschlehrer beruflich dafür besonders geeignet zu sein. Zumindest würden es die Anderen so sehen. Er konnte sich unmöglich raushalten; also willigte er, mit saurer Mine, schicksalsergeben ein.
Anders lag die Sache bei Bäckermeister Rindsberger, einem Mann mit Kraft, der handwerklich gefordert war. Er hatte keine Sekretärin und würde solche Machenschaften, sehr verübeln. Für ihn wäre das Amtsmissbrauch. Zum Glück konnte er aber nicht Gedanken lesen.
Er war jedoch im Kirchenchor, und, was noch schwerer wog, auch im Kirchenrat. Er sah einfach keine Möglichkeit sich davon zu stehlen, obwohl er schon so genug zu tun hatte.
Auch Stefan Ranzinger kam der Vorschlag nicht gelegen. Noch kräftiger als Rindsberger gebaut, wirkte er mit seinen dunklen kurzen Haaren eher wie ein Preisboxer.
Wer hat schon von einem boxenden Dichter gehört?
Er war jedoch Kunstschmied und lebte von dem Ruf, Talent zu haben, recht gut. Bei Pfarrer Hägemund stand gerade ein neues Geländer für den Treppenaufgang zur Debatte. Über den Schreibtisch des Bürgermeisters gingen ohnehin viele einschlägige Aufträge die meist mit der Renovierung von Häusern aber auch mit Neubauten zu tun hatten.
Ranzinger war auf beiden Gebieten tätig.
Er hatte aber keine Zeit und die Aufgabe lag ihm nicht!
Da fiel ihm Tante Gerlinde ein. Die war zwar arm wie eine Kirchenmaus, doch sie dichtete mit einigem Geschick, nach Auftrag. Etwa für Hochzeiten, Taufen, Geburtstage, Jubiläen und so weiter. Der könnte er ein paar Euro zustecken. Seine Mine hellte sich auf, als er sich, für alle überraschend, geradezu fröhlich mit den Worten: „Keine Angst, das kriegen wir hin!“ einverstanden erklärte.
Im „Goldnen Ochsn“ ging es wieder lebhaft zu. Alle Tische waren belegt. Auch der etwas im Abseits stehende Stammtisch. Sie genossen es, wenn sie unter sich waren. Fremde fühlten sich in dieser Runde ohnehin nicht wohl. Die Stammgäste machten sich womöglich auch noch einen Spaß daraus. Manche Sprüche waren wirklich deftig. Wie sollten die Gäste Witz und Beleidigung unterscheiden, wenn sie den Gesprächspartner nicht verstanden. Da ging es oft um Spitzfindigkeiten und Zweideutigkeiten.
Und dann noch der beschränkte Platz!
Pfarrer Hägemund war nicht anwesend. Dafür, oder vielleicht deshalb, gesellte sich der Wirt dazu. Sie hatten ihn bei passender Gelegenheit überredet, bei ihrem Schabernack mitzumachen und er hatte sich bereit erklärt, dann und wann mit einem passenden Spruch aufzuwarten. Und tatsächlich rückte er mit einer ironisch gedachten Karte heraus, die auf einem Sockel der Haus-Brauerei befestigt war. Er stellte das Miniverkehrsschild für gesellschaftspolitische Fragen auf den Tisch und las mit gespieltem Pathos vor:
Mir san mir und Bier ist Bier.
Gleich ob Sau, ob Goas ob Bär,
samma xund, is koana z´schwer.
Laft ois rund, samma xund.
Holladrii ya holladrio.
Zur Weißwurst a Brezn
und an Senf so wie so.
Nix vo Nix, gibt Nix her.
Liaba zwanzg als fuchz
Wenn´s laft, …